Ein Teil von mir

©JulianeGroßmann

Warm, groß, braun, ein Hauch gelb, zu hell, um sie mit Kastanien zu vergleichen; das sieht man, wenn man mir in die Augen blickt. Spiegel meiner Selbst, ein kleiner Teil von mir; Tor zu meiner Seele. Darin verborgen: ich, mit all meiner Kraft, Sprengstoff, der Stahl zum Schmelzen bringt, Berge erschüttert, Atome spaltet, mich, dich, die Welt antreibt. Eine Kraft, so unwirklich und unfassbar, dass sie dich trifft, unerwartet und doch so mitreißend.

Meine Augen, weit offen, bereit alles und jeden aufzunehmen, festzuhalten, zu verschlingen. Sie zeigen die Frau, die sich früh morgens im Spiegel anschaut und zufrieden ist, jeden Punkt in ihrem Gesicht als Teil ihrer Geschichte anerkennt. Wie den Pigmentfleck unter dem rechten Auge, der sie seit einem Jahr begleitet, von einem Sommer erzählt und die heißen, sich in die Seele einbrennenden Tage und deren Geschichten, in sich trägt. Die Frau, die lacht, bis ihr der Bauch wehtut, die Augen ganz verschwommen vor Tränen. Erfüllt von unaussprechlichem Glück.

Darin verborgen, der Teil von mir, so wunderschön, dass die Welt den Atem anhalten müsste, die Erdrotation in Slowmotion übergeht, um jede Facette von mir zu erfassen und in sich aufzunehmen, jeden Schritt und jede Bewegung seziert, untersucht und dokumentiert. Für die Ewigkeit archiviert.

Darin verborgen, die Wärme, gerade so heiß, das es keine Blasen schlägt, wenn man mich berührt, warm genug, um sich in luftiger Kleidung in meiner Nähe aufzuhalten, genug Strahlkraft, um auch dich zu wärmen.

Doch darin ist noch mehr, der andere Teil, so dunkel, wie, wenn man in der Nacht plötzlich das Licht ausschaltet, ein schwarzer Fleck auf der Pupille, der es unmöglich macht sich zu orientieren. Das Kind, dass sich seine Wunden immer wieder aufkratzt, sobald der Grind getrocknet ist, bewusst über die Narben, die bleiben, aber die Erinnerung des Schmerzes im Hinterkopf, die nicht verschwinden soll. Ein Schmerz, stechend und gleichzeitig seltsam und angenehm, wie wenn der Nagel zu weit abgebrochen ist und der Teil der Fingerkuppe sichtbar wird, der sonst schützend vom Nagel verborgen ist. Jede Berührung ist unangenehm, dennoch macht man sich kein Pflaster drüber.

Darin verborgen, die Angst, die man am liebsten sofort runterschlucken will, aber zu sperrig ist, nicht passt, sich im Rachen verklemmt. Schafft man es doch, dann gleitet sie langsam die Speiseröhre hinunter, krallt sich vorher noch einmal an der Kehle fest, schnürt sie zu, blockiert sie, dann immer mehr sucht sie sich den Weg durch den Körper. In der Speiseröhre warm, wie Kräuterschnaps, im Magen dann schon mulmig, aufregend, wie das Kribbeln vorm ersten Date, spürt man jedoch, dass es nichts Gutes verheißt. Stetig ausbreitend, wie Nebel, der über den Feldern aufsteigt, übernimmt dieses Gefühl meinen Körper, die Nervenbahnen getränkt, als würde das Schreckensgefühl intravenös in meinen Körper geschleust, langsam und immerwährend tropfend aus einem Beutel, den ich an einer Stange mit mir herschiebe. Vorwärts immer vorwärts. Ich weiß, ich müsste nur loslassen, die Kanüle einfach aus meiner Vene ziehen, den harten Brocken nicht krampfhaft versuchen runterzuschlucken, ihn einfach ausspucken, kotzen, brüllen, meine Lungen befreien. Doch trage ich sie mit mir.

Darin verborgen, der Atemzug, der zwischen meinen Lungen sitzt, der mich befreien könnte, der sich aber nicht traut geatmet zu werden. Ein Seufzer, der leise seinen Trübsinn besingt. Die Schwermut, die die Unsicherheit zum Vorschein bringt, immer dann, wenn die Selbstachtung ihren Siegeszug feiern will. Die Melancholie, wie ein Tsunami, der in meinem Bauch Wellen schlägt. Wellen, die erst langsam und unbemerkt wachsen, aber mit der Mission alles verschlingen zu wollen, mehr Unruhe stiften, als Erleichterung zu bringen, anstatt all das Gedachte, Ungesagte, nicht enden wollende Zweifeln wegzuspülen.

Meine Augen, ein Teil von mir, Tor zu meiner Seele, braun, wie Blätter im Herbst. Mit ihnen fließe ich im Rinnstein die Straße hinunter, nehme alles mit, was meinen Weg kreuzt, je nach Gefälle schneller, reißender. Habe auf meinem Weg trotz alledem viel gelernt. Und so lasse ich kräftezehrendes hinter mir, Ballast, der zu schwer auf meinen Schultern lasten würde. Gelähmt und gestärkt zugleich bin ich ein braunes Blatt, das jetzt im Herbst fallen muss, dessen Ursprung aber in diesem Augenblick neue Knospen ansetzt und aufs Neue erstrahlen wird. Der letzte Rest Harz am Stängel zeigt, woher ich komme, was ich in mir trage. Meine Leichtigkeit beweist, dass ich mit all dem dennoch fliegen kann. Und werde. Bis dahin warte ich auf die nächste Böe, den Windstoß, der mich zu neuen Ufern bringt. Erhebt, bewegt, erfrischt.

Warm, groß, braun, ein Hauch gelb, zu hell, um sie mit Kastanien zu vergleichen; das sieht man, wenn man mir in die Augen blickt. Spiegel meiner Selbst, ein kleiner Teil von mir; Tor zu meiner Seele. Darin verborgen: ICH. Hättest du´s gesehen?

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