Der Jahrmarkt falscher Ideale

©Juliane Großmann

Der Himmel so blau, die Luft schon recht warm spüre ich den Wind der Drehung in meinem Gesicht. Trotz Sonnenschein ist der Wind kalt, beißend, so, dass die Haut ganz trocken wird, rissig.

So sitze ich auf dem Kettenkarussell.

Im Teufelskreis der eigenen Selbstzweifel drehe ich mich um mich selbst, immer in die selbe Richtung. Sitze gefühlt schon seit Monaten dort oben. Zu hoch, um abzusteigen, zu schnell, um abzuspringen. An zwei Ketten befestigt, hänge ich und habe dennoch keinen Halt. Wie ein Fähnchen im kalten Wind schwanke ich hin und her. Jeder Griff geht ins Leere. Jeder Schrei wird von der Jahrmarktsmusik übertönt.Mit jeder weiteren Runde sehne ich mich mehr nach dem festen Boden, den Stopp einfordern kann ich dennoch nicht.

Links neben mir eine Kinderachterbahn. Eine Frau im Polizeiwagen schreit vor Verzweiflung. Das Auf und Ab von hier oben betrachtet lächerlich, jedes fünf jährige Kind hätte Spaß daran, aber sie klammert sich am Lenkrad fest, keine Kraft sich selbst zu erheben und ihre eigene Stärke zu sehen. Zu sehr damit beschäftigt sich mit den Anderen zu vergleichen, nach mehr zu streben und dennoch gleich wieder den Abhang herunter zu fahren. Sicherheit und Kraft im Polizeiwagen gesucht und doch auf die falsche Karte gesetzt. Runde um Runde sinnt sie einem besseren Leben nach und sieht doch ihre eigenen Erfolge nicht.

Rechts das Spiegelkabinett. Eine Frau rennt hastig heraus. Dort, wo jeder Freude daran findet, sich selbst in hundertfacher Wiederholung zu sehen, sah sie nur ihre eigenen Unzulässigkeiten, jedes Abbild verpönte sie, der Verzerrungsspiegel spottete über sie, machte sie nur noch kleiner, statt größer. Ihr Spiegelbild für sie nur eine Fratze, nicht genug, nicht schön genug, zu wenig, zu gewöhnlich. Geblendet von all den Filtern lässt sie die eigene Wirklichkeit erschaudern. Lieber noch mehr Schein, als wahrhaftiges Sein.

Hinter mir der „Hau den Lukas“. Ein Mann, er schlägt und schlägt, der große Macker. Der, der alles will, alles kann, den ganz großen Max markiert, über allem steht, alles locker sieht und nimmt. Ja nicht zu viel zugeben, zulassen, eingestehen. Wer weiß, was an der nächsten Ecke auf ihn wartet. Er schlägt und trifft trotzdem nicht ins Schwarze. Der Applaus dennoch tosend, hat sicherlich nur einen schlechten Tag. Er erleichtert, niemand hat seine Tarnung durchschaut. Der kleine verletzliche Junge, der eigentlich nur geliebt werden will, aber lieber Schmerzen sät, als Enttäuschungen zu ernten.

So drehe ich mich. Nehme den Schmerz der Achterbahnfahrerin mit, gebe ich mich doch selbst gerne diesem Hoch und Runter hin, die Zweifel der Spiegelkabinettbesucherin schon in mich gebrannt. So drehe ich mich. Den Macker auf dem Nebensitz, ein bekanntes Gesicht, schon oft persönlich begegnet, hereingefallen, von ihm in die Fresse bekommen.

Aber vor mir, da verlässt ein Mädchen den Jahrmarkt. Hüpfend einen Luftballon in der Hand. Sie hat den Absprung geschafft, reitet lieber mit Zuckerwatte auf Einhörnern auf dem Kinderkarussell, wirft ein paar Dosen, um ihre Geschicke zu testen, staunt über die größte Frau der Welt oder den Mann mit dem längsten Bart der Welt und erkennt dabei ihre eigenen Besonderheiten, statt sie abzuwerten, lässt all die Selbstüberschätzer, die am Riesenrad Schlange stehen hinter sich und lacht mit dem Clown um die Wette. Ich schaue ihr lange hinterher, der rote Ballon noch weit am Horizont erkennbar, erinnert mich an jemanden. An mich.

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